Wir nähren nicht nur unseren Körper – wir nähren unsere Seele, und sie erkennt, wenn etwas fehlt
Ich bin in einer Familie groß geworden, in der der Körper nie einfach nur Körper war. Schlank zu sein bedeutete Anerkennung, „stark“ zu sein hingegen wurde leise problematisiert – nie offen abgelehnt, aber doch als etwas Unerwünschtes markiert. Meine Mutter prophezeite mir schon als Kind, dass ich eines Tages aussehen würde wie eine recht stämmige Verwandte väterlicherseits. Grundsätzlich galt und gilt bis heute eine zierliche Erscheinung als Vorbild.
Bereits vor dieser Prägung gab es ein stilles, handwerkliches Vermächtnis: Meine Großmutter mütterlicherseits war Damenschneiderin – bei ihrer Arbeit bedeuteten Maße nicht einfach Zahlen, sondern waren Ausdruck von Individualität. Ihre Arbeit mit Schnitten und Stoffen war ein feinfühliges Spiel mit Proportionen und Persönlichkeit. Meine Mutter hat das Schneidern von ihr gelernt. Maß und Gewicht waren äußerst wichtig. Vielleicht wurde mir dadurch die Fähigkeit geschenkt, Körper nicht nur zu sehen, sondern auch zu lesen – und irgendwann zu fühlen.
Ich hatte oft das Gefühl, nicht dazuzugehören. Optisch passte ich nicht zur mütterlichen Familie, während meine jüngere Schwester sich scheinbar mühelos in dieses Bild einfügte. Ich fühlte mich wie das „andere Kind“: zu groß, zu breit, irgendwie außen vor. Dieses Gefühl wurde durch beiläufige Kommentare verstärkt. Mein Vater nannte mich einmal auf dem Weg ins Schwimmbad „Bauerntrampel“ – ohne für mich erkennbaren Anlass. Das Wort blieb. Es setzte sich fest, still und tief.
Obwohl Fotos ein normales, gesundes Kind zeigen, entwickelte ich früh eine verzerrte Wahrnehmung meines Körpers. Ein Paradoxon prägte meine Kindheit: Ich wurde als zu dick angesehen und sollte als Teenager eine Miederhose tragen, um meine weiblichen Formen zusammenzupressen. Zugleich wurde ich gezwungen, meinen Teller leer zu essen – unabhängig davon, ob ich mochte, was vor mir lag. Aber das Schlimmste war: Ich musste Milch oder Kakao trinken, obwohl ich das schon immer verabscheute. Eine eigentlich schöne Phase meiner Kindheit wurde durch diesen Zwang überschattet. Mein Körper war kontrolliert, aber meine Bedürfnisse blieben unbeachtet.
Inmitten dieser Widersprüche entstand eine kindliche Fantasie, die sich über Jahre hielt: Ich träumte davon, eine Nacht allein in einem Kaufhaus in einer riesigen Lebensmittelabteilung zu verbringen. Ich würde alles essen dürfen, wonach mir der Sinn stand – frei und hemmungslos, ohne Regeln. Diese Vorstellung war für mich ein geheimer Zufluchtsort. Heute weiß ich: Sie war kein Hunger nach Essen, sondern nach Selbstbestimmung.
Diese Fantasie sehe ich als Vorboten einer Essstörung. Sie spiegelte meine innere Orientierungslosigkeit, das Gefühl, zwischen den vielen Optionen nicht das Richtige wählen zu können. Mein Verhältnis zum Essen war gestört, lange bevor ich das verstand. Der emotionale Hunger war größer als der körperliche.
Und so begann ein langer Weg durch Extreme. Ich habe unzählige Diäten ausprobiert. Phasen, in denen ich viel zu viel aß, und andere, in denen ich kaum etwas zu mir nahm. Mit Schaudern erinnere ich mich an die Brigitte-Diät. Dort gab es einmal als Zwischenmahlzeit einen Senfquark! Die ständige Beschäftigung mit der Zubereitung kleinster Mahlzeiten, die dazu führen sollte, niemals Heißhunger zu bekommen, tat mir nicht gut und fühlte sich für mich falsch an. Dann lieber das andere Extrem: Einmal fastete ich drei Wochen am Stück. Ich nahm ordentlich ab, fühlte mich körperlich leicht und mental klar. Ich fühlte mich grundgereinigt. Damals glaubte ich, das sei ein Durchbruch. Heute weiß ich, dass solche Aktionen Raubbau an meinen Reserven waren. Sie gaben kurzfristige Kontrolle – aber keine echte Heilung.
Das Essen hatte in meinem Leben schon immer eine große Bedeutung. Mahlsorgfältig vorbereitet, besprochen, bewertet – und auch bei Tisch wurden alternative Zubereitungsarten und mögliche Optimierungen diskutiert.
Bei uns zuhause war das Essen eigentlich etwas Gutes. Meine Mutter kochte frisch, traditionell deftig, mit Hingabe und Gefühl. Es gab keine Tütenprodukte, keine Mikrowellenkost. Ich bin mit warmen Mahlzeiten aufgewachsen, mit Düften und Aromen, mit echten Zutaten. Und vielleicht hat mich gerade das zusätzlich so irritiert: der Kontrast zwischen dieser Wärme und dem, was ich erlebte.
Später kamen noch weitere Irritationen dazu. Ein absolutes Störgefühl habe ich bei der Zubereitung von Speisen in der Mikrowelle.
Mikrowellengerichte wirkten auf mich blass und seelenlos. Ich spüre bis heute, dass solche Nahrung etwas Wesentliches vermissen lässt. Menschen, die sich häufig davon ernähren, wirken oft „grau“ auf mich – weniger lebendig, weniger strahlend.
Ich weiß, das klingt irrational. Studien sprechen dagegen. Aber meine Intuition widerspricht. Sie war und ist mein innerer Kompass, auch wenn sie nicht wissenschaftlich belegbar ist.
Ich glaube, es ist entscheidend, so weit zu kommen, dass man sich auf seine Intuition verlassen kann. Sie spricht oft leiser als Regeln, aber sie spricht aus einem Ort der Wahrheit. Ich glaube auch, dass wir viel weniger Nahrung brauchen, als wir denken. Wir sind durch Gewohnheiten und Überfluss oft entfremdet von unserem eigentlichen Bedarf. Je mehr nährendes Essen wir zu uns nehmen, umso weniger hungert den Körper und die Seele. Gerne verweise ich an der Stelle auf Hildegard von Bingen und das Medical Medium Anthony William mit ihrer ganz eigenen Sichtweise.
„Wenn der Mensch sein Fleisch in Maßen nährt, dann ist auch sein Betragen fröhlich und umgänglich. Wenn er aber im Übermaß der Schmausereien und Gelage dahinlebt, dann legt er zu jedem schändlichen Fehler den Keim. Und wer andererseits seinen Körper durch unterwürfige Enthaltsamkeit schädigt, der geht immer zornig einher.“(Hildegard von Bingen)
„Du bist der größte Experte für Deine Gesundheit, und Deine Heilgeschichte zählt. Sie zählt mehr, als Du weißt. Jemand da draußen wartet gerade darauf, Deine Geschichte zu hören, damit er dieses lebensverändernde Heilmittel entdecken kann.” (Anthony William, Medical Medium). Damit ist der berühmte Selleriesaft gemeint. Aber seine Botschaften sind noch viel umfassender. Schau Dir gerne auf YouTube die deutschen Übersetzungen im Kanal „Psychische und körperliche Gesundheit“ an.
Ich möchte keine Weltanschauung daraus machen – jeder Mensch ist anders, jeder Körper spricht seine eigene Sprache. Aber wir sollten lernen, in unseren Körper hineinzufühlen und ihn zu fragen: Was brauchst Du wirklich? Was tut Dir gut?
Für mich habe ich festgestellt, dass es mir langfristig sehr guttut, grundsätzlich auf Weizen und Produkte aus Kuhmilch zu verzichten. Mein Körper wird leichter und ich fühle mich wacher. Doch es gibt genussvolle Ausnahmen: Manchmal darf es ein Salatteller mit überbackenem Ziegenkäse und frischem Brot oder ein süßes Törtchen wie dieses auf dem Foto sein. Es ist eines von mehreren Meisterstücken aus einer Schweizer Patisserie oberhalb des Vierwaltstättersees. Das Schätzchen ist vegan. Die Abwesenheit von Butter, Ei und Sahne ist für mich nicht herauszuschmecken.
Übrigens: Ich hatte in der Schule stets schlechte Noten im Sportunterricht – mein Körper galt als unsportlich. Und doch hat sich das nie mit meinem Erleben gedeckt. Ich bin auf Bäume und Hühnerstalldächer geklettert, Hügel hoch und runter mit dem Fahrrad gefahren, gewandert, geschwommen und habe niemals ein Sportabzeichen bekommen. Ich genieße das harmonische Dasein an der frischen Luft und zuhause auf der Yogamatte, liebe das Gefühl von Energie und Rhythmus. Es ist ein stiller Triumph meines Körpers über die früheren Stempel.
Heute ist mein Verhältnis zu meinem Körper noch immer nicht perfekt, aber echt. Ich achte auf meine Bedürfnisse, ich höre hin. Ich erlaube mir, Fragen zu stellen, statt Regeln zu befolgen. Mein Körper ist nicht falsch – er ist Ausdruck meiner Geschichte. Und meine Geschichte verdient es, erzählt zu werden. Ohne Scham und mit Ehrlichkeit. Für das Kind, das ich war. Und für die Frau, die ich heute bin. Vielleicht auch für die Generation, die jetzt erwachsen wird.

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